Zyklische Lust
Nadine Spitzley, gerade hast du dein erstes Buch mit dem spannenden Titel «ZYKLUST» veröffentlicht. Was verstehst Du unter diesem Begriff?
Zyklust ist meine Wortkombination aus Zyklus und Lust und beschreibt zum einen die Lust der Frau an ihrem eigenen zyklischen Wesen und gleichzeitig meint es die Veränderlichkeit der weiblichen Lust während des Menstruationszyklus.
Inwiefern sind Frauen «zyklische Wesen»?
Der weibliche Hormonhaushalt folgt einem im Durchschnitt 28 Tage dauernden Rhythmus. Ein vollständiger Menstruationszyklus tritt nur auf, wenn wir nicht hormonell verhüten. Viele Frauen gehen fälschlicherweise davon aus, dass sie aufgrund ihrer monatlichen Blutung einen natürlichen Zyklus haben. Doch unsere ursprüngliche „Werkseinstellung“ erleben wir ausschliesslich dann, wenn wir keine künstlichen Hormone zu uns nehmen.
Das, was sich im fruchtbaren weiblichen Körper abspielt, um die Voraussetzungen für eine Schwangerschaft zu schaffen, beeinflusst nicht nur die physische Verfassung. Auch unsere Emotionen, Gedanken und Handlungsweisen verändern sich im Laufe eines Zyklus mehrfach. Wir durchlaufen vier verschiedene Phasen, die uns jeweils unterschiedliche Perspektiven auf unser Leben ermöglichen. Wie das bewusste Wahrnehmen und Nutzen dieser inneren Transformation zu einem erfüllten und lustvollen Leben führt, das erläutere ich ausführlich in meinem Buch.
«Lustvolles Leben» klingt gut. Dreht sich alles nur um Sex oder um mehr?
Lust ist eine kraftvolle, ursprüngliche Energie, die tief aus unserem Becken entspringt. Sie möchte sich nicht nur in unserer Sexualität entfalten, sondern idealerweise in vielen oder sogar allen Lebensbereichen. Doch in den meisten Köpfen wird das Wort „Lust“ oft ausschliesslich mit Sexualität gekoppelt und somit in seiner Bedeutung stark eingeschränkt.
Lust ist die natürliche Grundschwingung einer Frau, wenn sie ihr zyklisches Naturell berücksichtigt und im Einklang mit ihrem Körper lebt. Genau wie sich unsere Kräfte, Energien und Qualitäten im Laufe der vier Zyklusphasen verändern, wandelt sich auch unser Lustempfinden. Wobei unser aktuelles Verlangen stets eng mit dem verknüpft ist, was wir gerade fühlen und brauchen – und das beeinflusst natürlich auch unsere sexuelle Lust massgeblich.
Fühlt sich sexuelle Lust nicht immer gleich an?
Viele Frauen glauben, dass sexuelle Lust immer laut, nach aussen gerichtet und aktiv sein muss – so wird es oft in Pornos dargestellt und leider auch von unwissenden Freundinnen oder Partnern vermittelt. Doch wenn eine Frau sich selbst befriedigt, zeigt sich schnell, dass diese Vorstellung nicht der Realität entspricht. Lust kann auf unzählige Weisen erlebt werden: still daliegend, Becken kreisend oder laut stöhnend in akrobatischen Bewegungen. Die Möglichkeiten sind grenzenlos – die Limitierung liegt in unserer eigenen Vorstellungskraft.
Wie verändert sich unsere Lust während des Zyklus?
Die erste Phase des Menstruationszyklus, die Zeit der Blutung, nenne ich die „ME- Time“. Viele Frauen fühlen sich während ihrer Periode empfindsamer, müder oder haben ein verstärktes Bedürfnis nach Rückzug. Es ist wichtig, sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten um diese Gefühle und Bedürfnisse zu kümmern. In dieser Phase steht uns oft weniger der Sinn nach wildem, energiegeladenem Sex, sondern vielmehr nach zärtlicher, achtsamer Berührung. Das schliesst Sexualität mit einem Partner oder einer Partnerin nicht aus, aber um Lust zu empfinden, braucht es häufig eine langsamere und sanftere Art der Begegnung als in den darauffolgenden Zyklusphasen.
Was passiert mit der Lust in den anderen drei Zyklus-Phasen?
In der zweiten Phase, der GO-Time, in der sich unser Körper auf den Eisprung vorbereitet, erleben wir eine Lust, wie wir sie aus Filmen kennen. Wir sind in unserer Heldinnen-Energie: fühlen uns attraktiver, selbstbewusster und dynamischer als in der vorherigen Phase. Wir sind proaktiver, haben mehr Lust, auf andere zuzugehen, uns zu zeigen und vielleicht auch das ein oder andere aufregende Abenteuer zu erleben.
In der dritten Phase, der WE-Time, in der die Eizelle entweder befruchtet wird oder keine Schwangerschaft eintritt, fühlen wir uns geerdeter und entspannter. Unsere Lust entsteht vor allem durch das Gefühl, in Beziehung zu sein – sei es durch eine erfüllte Partnerschaft oder Nähe zu einem Menschen, dem wir vertrauen und für den wir gerne sorgen, auch sexuell.
Die vierte Phase, die NO-Time oder KNOW-Time, ist oft die Zeit des gefürchteten PMS. Viele Frauen leiden unter verschiedenen Symptomen, die die Lust völlig verdrängen, besonders bei Schmerzen. In meinem Buch erkläre ich die möglichen Ursachen für Beschwerden im Zusammenhang mit dem gesamten Zyklusverlauf. Wenn unser Zyklus im Gleichgewicht ist, wird die belastende NO-Time zu einer Phase des Verstehens: zur KNOW-Time. In dieser Zeit können wir unsere Lust auf eine kraftvolle, befreite und vielleicht sogar wilde Weise neu entdecken.
Wie können Frauen möglichst lustvoll leben?
Es ist wichtig zu betonen, dass ich hier von einem allgemeinen Muster spreche. Lust – sei es im Alltag oder sexuell – ist höchst individuell, und jeder Mensch bildet ein einzigartiges System. Der Schlüssel liegt in der bewussten Wahrnehmung unserer eigenen Gefühle und Bedürfnisse, um zu erkennen, was uns im Moment Lust bereitet. Wenn wir uns zunehmend erlauben, wirklich zu sein, wer wir gerade sind, und das zu tun, was uns Lust und Freude bereitet, wird sich nicht nur in den Schlafzimmern dieser Welt vieles verändern, sondern auch weit darüber hinaus.
Inwieweit hilft das Zykluswissen dabei, die Lust der Frau zu fördern?
Der weibliche Zyklus ist eine wertvolle Ressource, die wir Frauen oft massiv unterschätzen. Die vier Zyklusphasen zu verstehen, bedeutet, sich selbst besser zu verstehen. In der Schule lernen wir, wie man denkt. Dabei bleibt die Sprache des eigenen Körpers oft unbeachtet. Ganzheitliche Selbstliebe gelingt nur, wenn wir sowohl unseren Verstand gebrauchen als auch die Signale unseres Körpers lesen und berücksichtigen. Wer das tut, schafft die idealen Voraussetzungen für ein erfülltes, lustvolles Leben.
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